Qualitätsmanagement in der öffentlichen Verwaltung – Notwendigkeit mit besonderen Anforderungen
Entgegen dem, was viele annehmen, ist Deutschlands öffentliche Verwaltung (ÖV) eher klein. Lediglich 10,6 Prozent aller Beschäftigten arbeiten hierzulande im öffentlichen Dienst – im OECD-Schnitt sind es 17,9 Prozent. Unter anderem deshalb ist es jedoch nötig, die Qualität aller Arbeiten besonders stringent sicherzustellen, damit mit dem verhältnismäßig wenigen Personal dennoch ein Maximum an Leistungen generiert werden kann.
Welche Punkte und Notwendigkeiten hierbei aufgrund der speziellen Natur der öffentlichen Verwaltung eine besonders herausragende Rolle spielen, erklären wir auf den folgenden Zeilen.
- Genutzte Qualitätsmanagementsysteme in der ÖV
Die öffentliche Verwaltung ist kein monolithisches System. Zwar unterliegen alle Behörden denselben grundsätzlichen Bedingungen, jedoch unterscheiden sich deren Schwerpunkte von Behörde zu Behörde teils deutlich.
Daher werden in Deutschlands ÖV verschiedene Qualitätsmanagementsysteme genutzt. Eine herausragende Stellung nimmt hierbei das europäische Common Assessment Framework (CAF) ein. Ein auf dem EFQM-Modell basierender Ansatz, der gezielt für die Belange des ÖV unter den Bedingungen der Europäischen Union geschaffen wurde.
Neben diesem „abgewandelten EFQM“ kommt ebenso bei verschiedenen Behörden das originäre Modell zum Einsatz. Last, but not least, finden hier die verschiedenen Ausprägungen der DIN EN ISO 9000 (ff.) ebenso Anwendung.
Allerdings können die angesprochenen Schwerpunkte es teilweise nötig machen, gänzlich andere Wege zu gehen. Für verschiedene Behörden werden deshalb stark modifizierte oder gänzlich eigenständige Qualitätsmanagementsysteme entwickelt und genutzt. Bei der Bundeswehr etwa basiert alles auf den NATO-einheitlichen Vorgaben der Allied Quality Assurance Publications (AQAP).
Damit steht zudem bereits eine besondere Anforderung in der ÖV fest: Die Diversität der unterschiedlichen Behörden, was ihre Schwerpunkte anbelangt. Ein QM-System für alle kann deshalb nicht funktionieren.
- Die Notwendigkeiten einheitlicher und schneller Digitalisierung
In digitaler Hinsicht stand und steht Deutschlands öffentliche Verwaltung zurecht in der Kritik. Hier wurde schlicht jahrelang viel zu wenig getan. Das Ergebnis: Obwohl Deutschland sich im Onlinezugangsgesetz (OZG) verpflichtet hat, bis Ende 2022 einen Katalog von fast 600 Dienstleistungen digital zugänglich zu machen (mehr über den Stand im OZG-Monitor), ist bis heute (Februar 2023) gerade einmal ein Bruchteil umgesetzt worden.
Mitte 2022 wurde das ursprüngliche Ziel als nicht erreichbar erkannt, der Fokus wurde auf 35 Dienstleistungen gerichtet – bis zum Jahreswechsel konnten selbst davon nur 33 finalisiert werden.
Für viele Kritiker ein hausgemachtes Problem, weil beim Gesetzesentwurf zu wenig auf die Machbarkeit seitens der durchführenden Behörden geachtet und auf deren Einwürfe gehört worden sei. Also ein Gesetz am Machbaren vorbei. Nicht einfacher wurde es, weil es innerhalb der Behörden zahlreiche unterschiedliche Systeme gibt, jedoch für eine OZG-Umsetzung Einheitlichkeit maßgeblich nötig ist. Die Schwierigkeiten durch die föderale Gestaltung der BRD kommen noch hinzu.
Dass und wie es durchaus völlig anders ablaufen kann ist, zeigt die Polizei von Baden-Württemberg. Hier ist seit einiger Zeit ein einzigartiges System im Betrieb, VIS Polizei. Die digitale Plattform vereint alle typischen Arbeiten rund um Aktenführung und Vorgangsbearbeitung. Alle Beamten können auf einer gleichbleibenden Oberfläche arbeiten, Dateien können problemlos an entsprechende Stellen weitergegeben werden. Einfach und effizient, wo zuvor verschiedenste (oft untereinander inkompatible) Werkzeuge genutzt werden mussten. Unter anderem in Sachsen und Thüringen ist man ebenfalls stark an der Plattform interessiert.
Bloß: Eine solche Umsetzung benötigt nicht nur politische Entschlussfreude, sondern den Willen, das nötige Geld in die Hand zu nehmen. Deutschlands ÖV wurde in beiderlei Hinsicht zu lange vernachlässigt. Dass die Digitalisierung dort auf solche Probleme stößt und Deutschland deswegen innerhalb der EU auf einem schlechten 21. Platz im E-Government-Vergleich steht, ist ein hauptsächlich politisches Problem.
- Die besonders hohen Datenschutzanforderungen
In nur wenigen anderen Staaten wird das Thema Datenschutz so großgeschrieben wie in Deutschland – wertungsfrei. Die öffentliche Verwaltung bedeutet diesbezüglich einen besonderen Fall, schließlich laufen hier nicht nur sehr viele, sondern obendrein äußerst detaillierte persönliche Daten zusammen.
Allein, was beispielsweise in einer Verbandsgemeindeverwaltung mit Hinblick auf Ausweis- und Besitzstandsdaten lagert, kann in den falschen Händen enorme Brisanz entwickeln. Naturgemäß erschweren solche Risiken die Digitalisierung zusätzlich. Bei vielen Arbeiten der öffentlichen Verwaltungen handelt es sich nun einmal um hoheitliche Akte, durch die gegenüber den Informationen der Bürger besondere Schutzansprüche bestehen.
Die Herausforderung ist jedoch nicht nur rein technischer Natur. Alle ÖV-Mitarbeiter müssen naturgemäß hinreichend und wiederkehrend geschult werden – neben den eigentlichen Aufgaben, die sie noch zu bewältigen haben. Hier schließt sich wiederum der Kreis zu dem eingangs erwähnten geringen Personalbestand bezogen auf alle Beschäftigten.
Zwar könnte man durchaus diskutieren, warum in anderen Ländern nicht solche hohen Datenschutzbedenken herrschen. Für die meisten Bürger, und somit den Souverän und Wähler, spielen sie jedoch eine erhebliche Rolle. Sowohl Politik als auch öffentliche Verwaltung haben daher keine andere Wahl, als diesen hohen Ansprüchen nachzukommen.
- Die Notwendigkeit, als Dienstleister aufzutreten
Die öffentliche Verwaltung in vielen Nationen war über Jahrzehnte von einem starken Machtgefälle geprägt:
- Auf der einen Seite die Verwaltung, Behörde etc. Sie war sozusagen der verlängerte Arm der Regierung und hatte daher vielerorts den Charakter einer Obrigkeit – nicht zuletzt im eigenen Verständnis.
- Auf der anderen Seite die Bürger, Unternehmen etc. Sie wählten zwar die Regierung, wurden jedoch seitens vieler Behörden obrigkeitlich behandelt und sahen sich oftmals selbst als Untergebene.
Diese Zeiten sind vorbei oder befinden sich wenigstens in einer scharfen Transformation. Auch in Deutschland entwickelt sich die öffentliche Verwaltung schon seit einigen Jahren von einem „ausführenden Organ der Politik“ hin zu einem modernen Dienstleister – und zwar einem Dienstleister, der primär dem Bürger verpflichtet ist.
Eine solche Transformation ist naturgemäß ein komplexer Prozess. Denn er erfordert nicht nur ein teilweise tiefgreifendes Umdenken bei allen Akteuren innerhalb der ÖV. Er benötigt vielmehr eine Umwandlung hin zu einem betriebswirtschaftlich ausgerichteten Handeln.
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt wussten Fachleute, welche Chancen, aber ebenso Schwierigkeiten dies bedeutet. Doch bis heute ist diese umfassende Verwaltungstransformation noch nicht abgeschlossen – womit Deutschland jedoch nicht alleinsteht.
- Die extrem große und diverse Zielgruppe
Gutes Qualitätsmanagement ist ein steter Prozess, der einige Anstrengungen abverlangt. Herkömmliche Unternehmen haben dabei jedoch einen vielfach unbeachteten Doppelvorteil:
- Ein konkretes Produkt bzw. eine ebensolche Dienstleistung
in Verbindung mit
- einer präzise umrissenen und bekannten Zielgruppe.
Ersteres ist zwar durch die Aufteilung in unterschiedliche Behörden in der ÖV in vergleichbarer Weise anzutreffen. Letzteres ist jedoch der ausschlaggebende Punkt, der die öffentliche Verwaltung tatsächlich einzigartig macht:
Jeder Mensch, der in Deutschland lebt, ist geradezu zwangsweise ein Zielgruppenmitglied für die ÖV. Entweder Zeit seines Aufenthalts, oder sogar buchstäblich „von der Wiege bis zur Bahre“.
Es beginnt bereits mit der Anzeige einer Geburt am zuständigen Standesamt. Und erst, wenn ein Standesamt über den Tod informiert wurde und alle weiteren (etwa erbschaftsrechtliche) Angelegenheiten geklärt wurden, endet dieser Status. Dazwischen kommt jeder Mensch immer wieder auf verschiedenste Arten und Weisen mit der Verwaltung in Kontakt.
Gerade jene Behörden, die keinen eng umrissenen Personenkreis bearbeiten (ungleich etwa zu Gewerbeämtern, die eben nur Gewerbetreibende betreuen), stehen deshalb in Sachen Qualitätsmanagement vor der Mammutaufgabe, sich mit ihrem Grundgedanken der Dienstleistung an verschiedenste Personen richten zu müssen – und obendrein für alle davon gleichermaßen leicht zugänglich zu sein.
Wirklich nicht einfacher wird diese Situation, weil die öffentliche Verwaltung einer ganz ähnlichen Herausforderung unterliegt wie viele privatwirtschaftliche Unternehmen:
- Der grassierende Fachkräftemangel
Die ÖV war schon immer ein Feld, das besondere Charaktere anzog, weil sich die hier nötigen Arbeiten teilweise deutlich von allem unterscheiden, was in der Privatwirtschaft Usus ist. Früher konnte das vielerorts durch attraktive Rahmenbedingungen kompensiert werden. Etwa die Sicherheit einer Verbeamtung oder die bis 2005 gültigen einheitlichen Tarifverträge. Aus Sparzwängen heraus wurden jedoch viele dieser Faktoren reduziert oder sukzessive völlig abgebaut.
Hinzu kommt ein generelles Umdenken jüngerer Generationen, was sie von einem Beruf erwarten – neben dem allgemeinen demographischen Wandel. Im Ergebnis steht die öffentliche Verwaltung heute vor einem ganz ähnlichen Problem wie zahllose andere Branchen und Betriebe: es fehlt der Nachwuchs.
2021 errechneten Beamtenbund und Tarifunion, dass
- …bereits zum damaligen Zeitpunkt rund 326.000 Mitarbeiter fehlten – mit der größten Lücke (knapp 146.000) in den Kommunalverwaltungen.
- …in den kommenden zehn Jahren über ein Viertel beziehungsweise gut 1,25 Millionen Beschäftigte in den Altersruhestand gehen.
- …die Neueinstellungen diese Abgänge wahrscheinlich nicht einmal ansatzweise decken können.
Da sich jedoch nicht gleichsam die Anforderungen reduzieren, sondern eher noch steigern (wie beispielsweise aus den vorherigen Kapiteln dieses Texts ersichtlich), werden die verbliebenen Mitarbeiter immer stärker belastet. Das steigert nicht nur die Abgänge weiter, sondern wirkt sich ebenfalls auf die Nachwuchskräfterekrutierung aus.
Bildquellen:
stock.adobe.com © Animaflora PicsStock
stock.adobe.com © designbetrieb.de
stock.adobe.com © Guillem de Balanzó
stock.adobe.com © auremar
Fragen zum Thema?