Werte- und Entwicklungsquadrat


Werte- und Entwicklungsquadrat

Werte- und Entwicklungsquadrat Definition

Das Werte- und Entwicklungsquadrat ist ein Konzept, das von Friedemann Schulz von Thun entwickelt wurde und das beschreibt, wie Menschen ihre Werte und Ziele in ihrem Leben verfolgen. Das Quadrat besteht aus vier Bereichen:

  1. Innere Werte: Dies bezieht sich auf die Werte und Prinzipien, die eine Person in ihrem Inneren hat und die ihr Leben leiten.

  2. Äußere Werte: Dies bezieht sich auf die Werte und Ziele, die eine Person in ihrem Leben verfolgt und die sie nach außen hin zeigen möchte.

  3. Entwicklungsaufgaben: Dies bezieht sich auf die Herausforderungen und Aufgaben, die eine Person in ihrem Leben angehen muss, um sich selbst und ihre Fähigkeiten weiterzuentwickeln.

  4. Lebensstile: Dies bezieht sich auf die Art und Weise, wie eine Person ihr Leben gestaltet und wie sie ihre Werte und Ziele verfolgt.

Das Werte- und Entwicklungsquadrat hilft dabei, die verschiedenen Aspekte von Werteorientierung und persönlicher Entwicklung zu verstehen und zu analysieren. Es kann dazu beitragen, Klarheit über die eigenen Werte und Ziele zu gewinnen und Entscheidungen zu treffen, die den eigenen Wertevorstellungen entsprechen. Es kann auch hilfreich sein, das Quadrat zu verwenden, um die Entwicklung von Mitarbeitern und Teams zu fördern und das Engagement und die Zufriedenheit am Arbeitsplatz zu erhöhen.

Das von Nicolai Hartmann (1926)[1] stammende Wertequadrat hat Friedemann Schulz von Thun 1989 für die Belange der zwischenmenschlichen Kommunikation genutzt und mit dem Entwicklungsgedanken verbunden und dann Werte- und Entwicklungsquadrat genannt.

Mit Hilfe des Werte- und Entwicklungsquadrates könne es gelingen, für jede menschliche Qualität (z. B. Ehrlichkeit) die notwendige Gegenqualität („Schwestertugend“) zu finden (hier z. B. Takt und Sensibilität); erst beides zusammen lasse „den Regenbogen aufgehen“. Ehrlichkeit ohne Takt könne zur brutalen Offenheit verkommen, Takt ohne Ehrlichkeit zur höflichen Fassade. Habe man die Balance zweier Gegenwerte vor Augen, könne man auch die anstehende Entwicklungsrichtung entdecken: der eine neige zur Verabsolutierung der Ehrlichkeit und müsse entsprechend Takt und Sensibilität erobern; der andere übertreibe genau diese Qualität und solle lernen, ehrlichen Klartext zu sprechen.

Der Grundgedanke des Modells ist auf Aristoteles zurückzuführen (ca. 350 v. Chr.), wurde von Nicolai Hartmann (1926) weiterentwickelt und schließlich für die Psychologie entlehnt von Paul Helwig (1936).

Hartmanns Urbeispiel

220px Urbeispiel von Helwig
Urbeispiel von Helwig: Sparsamkeit und Großzügigkeit

Nicolai Hartmann hat den aristotelischen Gedanken in ein Wertequadrat übertragen und Paul Helwig hat es von ihm übernommen. In dem seit Aristoteles immer wieder auftauchenden Beispiel braucht es neben der Sparsamkeit auch Großzügigkeit, um nicht zum Geizhals zu verkommen und umgekehrt bewahrt die Balance mit der Sparsamkeit den Großzügigen vor der Verschwendung.

Die Entwicklungsrichtung findet sich in den Diagonalen. Wer die Sparsamkeit übertreibe und zum Geizigen werde, dessen Entwicklungspfeil zeige zur Großzügigkeit und komplementär empfehle es sich für den Verschwenderischen, die Sparsamkeit zu entwickeln.

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Schaubild Werte- und Entwicklungsquadrat nach Schulz von Thun

Die Prämisse des Werte- und Entwicklungsquadrats von Schulz von Thun lautet: Jeder Wert (jede Tugend, jedes Leitprinzip, jede menschliche Qualität) könne nur dann seine volle konstruktive Wirkung entfalten, wenn er sich in ausgehaltener Spannung zu einem positiven Gegenwert, einer “Schwesterntugend” befinde. Ohne diese Balance könne der Regenbogen nicht aufgehen, verkomme ein Wert zu seiner entwerteten Übertreibung. Hier entfernt sich Schulz von Thun von Aristoteles und von Hartmann, da er die Begriffe Wert und Tugend gleich verwendet, während für Aristoteles die Tugend in dem kontinuierlichen Ausbalancieren von Spannungswerten besteht.

Anwendungen

In diesem Sinn und Geist wird das Werte- und Entwicklungsquadrat von Schulz von Thun auch für Beurteilungsgespräche genutzt oder für Rückmeldungen nach einem Assessment-Center. Ebenso wird es in der modernen Personalarbeit auch als Grundlage für 360°-Feedback genutzt. So wird das Aufzeigen von Verhaltensweisen weniger an Defiziten als an Stärken orientiert.[2]

Weitere Beispiele

Tugend, Leitprinzip, menschliche Qualität:
Akzeptanz – Dinge hinnehmen
- komplementärer Gegensatz -positiver Gegenwert, Schwestertugend:
Gestaltungswille – Dinge ändern
Entwicklung erfolgt diagonal von unten nach oben
Entwertende Übertreibung:
Fatalist
- diametraler Gegensatz -Entwertende Übertreibung:
Fanatiker
Sehnsucht nach wechselseitiger, vollständiger Durchdringung der beiden Pole:
Gott gebe mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Reinhold Niebuhr 1943, Massachusetts
Tugend, Leitprinzip, menschliche Qualität:
Mitgefühl, Nächstenliebe
- komplementärer Gegensatz -positiver Gegenwert, Schwestertugend:
Selbstgefühl, Selbstliebe
Entwicklung erfolgt diagonal von unten nach oben
Entwertende Übertreibung:
ständig um andere kreisend; Übergriffigkeit: meinen zu wissen, was für andere gut ist
- diametraler Gegensatz -Entwertende Übertreibung:
ständig um sich selbst kreisend; Narzissmus
Sehnsucht nach wechselseitiger, vollständiger Durchdringung der beiden Pole:
Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst.
Altes Testament 3. Mose 19, 18; Neues Testament Markus 12, 31

Literatur

  • Nicolai Hartmann: Ethik. 4. Aufl., de Gruyter, Berlin 1962
  • Paul Helwig: Charakterologie. Teubner, Leipzig 1936. 3., überarbeitete Ausgabe: Klett, Stuttgart 1965
  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden 2. Stile, Werte und Persönlichkeitsentwicklung. Reinbek bei Hamburg 1989
  • Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden: Fragen und Antworten. Reinbek bei Hamburg 2007, S. 49–76

Einzelnachweise

  1. von Thun: Von wem stammt das Werte- und Entwicklungsquadrat? In: „SyStemischer – Die Zeitschrift für systemische Strukturaufstellungen“, Ausgabe 07/2015. S. 88–98 (schulz-von-thun.de [PDF]).
  2. Jutta Herder, Kirsten Wallmichrath: Weg vom Schwarz-Weiß-Denken - SIG Combibloc und meta | five entwickeln ein 360° Feedback basierend auf dem Wertequadrat-Ansatz; Artikel in personalmagazin MANAGEMENT, RECHT UND ORGANISATION, November 2010, 12/2010, Seite 38–40

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